Muji ist für Micha Klein ein gutes Beispiel. Gigantische Wände aus mehr als 7500 einzelnen Holzelementen. Den Stand der Japaner auf der Expo vor zwei Jahren findet der Team Lead Architecture bei der Content Marketing Agentur Liganova auch heute noch wegweisend.

Besucher konnten sich Einzelteile als Regal mit nach Hause nehmen und mit ihren anderen Modulen aus dem Muji-Sortiment kombinieren.
Innerhalb von sechs Tagen wurden die meterhohen Wände von 1254 Besuchern abgetragen. „Das war unglaublich sympathisch und zugänglich. Es erlaubte ein Partizipieren lassen aus der Brand-DNA heraus“, schwärmt der Architekt, der sich dem Thema Nachhaltigkeit über die Präsentation, den Ladenbau, den Auftritt nach außen nähert.
Und da sei es deutlich ruhiger geworden. „Bewegt-Content wird seltener eingesetzt, es wird weniger mit Aufmerksamkeit erregen den Bildern gearbeitet, alles ist reduzierter, nichtmehr so überladen.“Das fällt ihm zuerst ein, wenn er über Nachhaltigkeit im Handel nachdenkt. Der Trend gehe weg von Store-Wänden voller Screens, von Image-Filmen mit Wald und Wiesen, die in Endlosschleife über riesige Leinwände flimmern. Im Fokus stehe das Wesentliche. Die Produkte und die Markenidentität.

Credits: MUJI

„Die Zeiten, in denen im Retail Nachhaltigkeit mit Pflanzen und Holz zur Schau gestellt wird, sind vorbei. Heute geht es eher um eine implizite Haltung. Es ist kein Marketing-Thema mehr sondern ein Hygienefaktor, eine Grundhaltung der Unternehmen. Und das ist sehr gut.“ Insgesamt bedeute Sustainability nicht mehr nur CO2-Einsparung und die Verwendung nachhaltigerer Materialien. „Sustainability im Retail hat sich von einer nach innen gerichteten zahlenbasierten Nachhaltigkeit zu der dem Kunden zugewandten sozialen Nachhaltigkeit erweitert und wird immer vielschichtiger“, fasst Klein zusammen.

Der Architekt sieht Bewegungen in den unterschiedlichsten Bereichen.
Die Marke kommt zum Kunden, Wintersport-Klamotten werden mit temporären Pop-ups ins Ski-Gebiet transportiert. „Retail hat keine physischen vier Wände mehr“, sagt Klein. Brands finden überall statt, nicht mehr nur in Einkaufspassagen. „Handel wird fluktuativer, zielgruppenspezifischer, bietet saisongebundene Aktivierungen und ist eben dort präsent, wo der Kunde ist“. Zudem gehe es um konsequente Kommunikation am Produkt, den Transport von Know-how, das Sichtbar machen von Herstellungsprozessen. Behind the Scenes, am besten im direkten Gespräch mit den Verkäufern. „Das Internet ist überfrachtet. Authentische Kommunikation und Experience finden im Physischen statt, zwischen diversen Touch Points im Store und durch das Personal. Das ist das große Potenzial der stationären Stores. Am Ende geht es darum,
das, was das Internet nicht leisten kann, durch physische Erlebnisse auszubalancieren, um so ein ganzheitliches Markenbild zu schaffen.“

Es braucht Menschen, es braucht Erklärungen. „Wir alle wollen die Zusammenhänge verstehen, wer sieht, wie ein Kleidungsstück entsteht, schätzt es ganz anders wert.“ Wichtig seien Aktivierungen zu verschiedenen Themen. Kollaborationen, um Inhalte zu transportieren, Sympathien aufzubauen. Barrierefreies Shoppen, fällt Klein spontan ein.
Body Positivity; curvy statt skinny. Welbeing. „Individuelle Angebote für Integration, Gleichheit und Fairness sind intensiver erlebbar im stationären Store als online.“

Credits: Ecoalf

Im Stuttgarter Laden Superjuju gibt es täglich von 11 bis12 Uhr eine stille Stunde. Damit soll Autisten und Menschen, denen es sonst zu laut ist, der Alltag erleichtert werden. Das Konzept stammt von einer Supermarktkette aus Neuseeland.

Der Store wird vom Point of Sale zum Point of Experience. „Marken haben vor Ort die Möglichkeit, Nachhaltigkeitsbestrebungen erlebbar
zu machen. Von der kompetenten Beratung, die zum perfekten Match zwischen Kundenbedürfnis und Produkten führt, über persönliche Ansprache bis hin zu Aktivierungen, die vor Ort Nachhaltigkeit im Markenkontext erlebbar machen“, so Klein.
Der erste Schritt sei es, eine realistische Erwartungshaltung bei den Konsumenten zu schaffen. Klein nennt Stichworte wie Recycling, Upcycling, Circularity. „Das sind Musthaves, die sich zunehmend etablieren. Wichtig ist hier, sich von Perfektionismus freizumachen.“ Deshalb sei transparente und authentische Kommunikation das A und O.

Klein ist in vielen Branchen aktiv. An der Kampagne „Tischkonzept“
für Nespresso hat sein Team fast zwei Jahre gearbeitet. Entstanden ist
ein neuer einheitlicher Standard für alle Schaufenster weltweit. Wandelbarkeit und Flexibilität der einzelnen Module bringen Langlebigkeit. Ein bisschen Muji. „Alle Elemente sind so konzipiert,
dass sie einfach getrennt und wiederverwertet werden können. Für jede Kampagne erstellen wir ein Recycling-Handbuch, das den Mitarbeitern in den Nespresso-Boutiquen weltweit hilft, die Materialien korrekt und unkompliziert zu entsorgen“.

Credits: Ecoalf

Soft- und Hardwareentwicklungs-Events

Ähnlich interessant findet Klein kollaborative Soft- und Hardwareentwicklungs-Events, die so genannten Hackathons. Innovationswettbewerbe, die sich auf die Entwicklung nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen konzentrieren. Ecoalf lässt Studenten
der Schiller International University erforschen, wie sie Konsumenten dazu bringen können, nicht nur beim Kauf von Kleidung, sondern auch in anderen Bereichen ihres Lebens auf Sustainability zu achten. H&M fordert den kreativen Nachwuchs alljährlich beim „Nationalen Hackathon Circular Economy“ in den Niederlanden auf, Ideen für einen Wandel von Fast zu Slow Fashion zu sammeln.

Ein anderer Weg sind Communities: Marken kreieren Gruppen, die sich gemeinsam für Nachhaltigkeit engagieren. Ein Beispiel sind die schon ziemlich etablierten, lokalen Repair-Cafés und Tauschbörsen, die von den Herstellern und Händlern unterstützt werden. Oder Online-Plattformen, auf denen Kunden Wissen teilen und gemeinsam nachhaltige Initiativen starten können. Vorbild ist für Klein der Nike Community Impact Fund, bei dem sich lokale Organisationen aus der ganzen Welt bei Nike-Mitarbeitern vor Ort um Zuschüsse für Kinder-Sportaktivitäten bewerben können. Patagonia hat eine „Action Works“-Plattform geschaffen, über die Kunden lokale Umweltgruppen finden, an Veranstaltungen teilnehmen und für Initiativen spenden können. So werden Käufer zu Aktivisten. Es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, das die Kundenbindung erhöht und dieMarke im Umweltschutz positioniert.

Ein weiterer Schritt ist für den Architekten der kulturelle Wandel. Auch, wenn es zunächst paradox klingen mag–Anbieter selbst könnten den Fokus weg vom Konsum-Denken lenken. Durch Installationen, die zum Nachdenken anregen. Casetify beispielsweise zeigt in Pop-ups weltweit Kunstwerke aus hunderttausenden recycelten Smartphone-Hüllen.
Liganova selbst kuratierte kürzlich für Mozilla eine Ausstellung, die dazu anregen sollte,„das Internet zurückzufordern“. Installationen in vierthematischen Räumen – Reclaim Expression,Reclaim Creativity, Reclaim Wonder und Reclaim Community – sollten bestehende Normen in Frage stellen und dazu führen,über eine alternative digitale Zukunft nachzudenken.

Credits: Liganova

Zukunftsausblick für SMEs


Und was heißt das alles für mittelständische Modefirmen? „Auch hier gilt – von außen nach innen: Optimierung des eigenen Business-Models, Erlebbarkeit der Nachhaltigkeit und Etablierung eines sicheren Raumes, der allen offen steht“, rät Klein.
„Nachhaltigkeit ist ökonomisch, ökologisch und sozial. Nach den ersten beiden Stufen sind wir nun an der dritten angekommen, die leiser ist und weniger schlagzeilenfähig, aber heute umso wichtiger. Gerade der physische. Retail bietet hier enorme Chancen“ resümiert der Liganova-Experte.

Er empfiehlt Händlern und Herstellern, dabei nicht alle Expertise selbst aufzubauen, sondern ein regionales Netzwerk zu fördern und geeignete Partner zu finden. So arbeitet Liganova beim Upcycling mit Trash Galore zusammen. Das Start-up aus Leipzig bringt Ausrangiertes wieder in den Kreislauf. Aus Festival-Ökoklos werden Tanzbühnen, alte Matratzen zu Fleischstück-Imitaten in einer Theaterinszenierung,Lampenaus einer Lagerauflösung zum Teil eines Bühnenbilds.Eine Neudefinition von Müll im Kleinen und ein neuer Ansatz für Nachhaltigkeit im Großen.

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Micha Klein
Executive Director
LIGANOVA

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