Let’s get physical: Warum echte Marken heute echten Raum brauchen

Gastbeitrag von Timo Schönauer in der HORIZONT

Stationär ist zurück – aber anders: Viele Digital Brands und Direct-to-Consumer-Marken eröffnen eigene Stores. Das ist kein Zufall, sondern kluge Strategie, ist unser Talking Heads-Kolumnist Timo Schönauer, Co-CEO von Liganova, überzeugt. Hier erklärt er, warum aus Quadratmetern Markennähe entsteht, wieso die Fläche den Feed schlägt und weshalb es im physischen Shop mehr um Auftritt als um Ausverkauf geht:

Let’s get physical: Warum echte Marken heute echten Raum brauchen

Haben Sie die Bilder von den Menschenmassen gesehen, die sich am 8. April durch das neue Westfield-Shopping-Center in Hamburgs Überseequartier geschoben haben? Willkommen im neuen Real Life der Retail-Revolution! Über 200.000 Besucherinnen und Besucher am Eröffnungswochenende – das macht kein Algorithmus. Mögen digitale Kampagnen noch so persönlich, noch so individualisiert und noch so optimiert sein: Wir Menschen wollen mehr als Klicks. Wir wollen Erlebnisse. Wir wollen berührt werden. Im besten Fall nicht nur emotional.
Dass sich viele Online-Pure-Player nach Quadratmetern umschauen, ist kein Zufall, sondern Konsequenz. Marken, die rein digital geboren wurden, wollen heute sichtbar sein – im Stadtbild, im Gedächtnis, im echten Leben. Und das aus gutem Grund: Im Web gewinnen wir Kunden. Im Raum gewinnen wir Herzen.

Westwings Store-Strategie

Westwing zum Beispiel – Europas Nummer 1 im Beautiful Living E-Commerce – will im Jahr 2025 mithilfe von stationären Geschäften wachsen. Offenbar hat das 2022 eröffnete erste Westwing-Geschäft an Hamburgs edlem Jungfernstieg Lust auf mehr Präsenz gemacht, jetzt präsentiert sich der passionierte Online-Händler auch auf einer Fläche im Breuninger in Stuttgart, einem Store im Specks Hof in Leipzig und in einem Store-in-store im ehrwürdigen Kaufhaus Printemps Haussmann in Paris. Warum sich der Direct-to-Consumer-Händler für „echte“ Räume entscheidet? Weil die Nähe zu den Kunden, weil Inspiration, persönliche Beratung und ein multisensorisches Einkaufserlebnis Marken greifbarer macht. Das funktioniert eben am besten im Raum. Nicht im Feed.

Asphaltgold's Community-First Retail

Na klar: Gefühle lassen sich auch in digitalen Spaces erzeugen. In der analogen Fläche gelingt es aber noch immer unmittelbarer, konkreter und vor allem: in Gemeinschaft. Der Community-Aspekt ist nicht zu unterschätzen. Paradebeispiel dafür, wie sich Handel, Emotion und Community verbinden lassen, ist der Mitte April in Frankfurts Innenstadt eröffnete Asphaltgold Store. 2008 als kleiner Laden in Darmstadt gegründet, „um die Sneaker-Szene im Rhein-Main-Gebiet zu versorgen“, betreibt Asphaltgold seit 2009 einen Online-Shop und zählt weltweit mehr als eine Million Follower in diversen Sozialen Medien. Der neue Store in Frankfurt will ein Space für die Community sein, mit Cafébar und „Platz zum Connecten“. Konsequenterweise besteht das Verkaufsteam nicht aus Verkäufer*innen, sondern aus Event Managern, Community Managern und Content Creators, die eng mit der Frankfurter Szene vernetzt sind. Hier werden eben nicht bloß Produkte verkauft, es entsteht ein „kreativer Hub“.

Asphaltgold hat begriffen: Kundinnen und Kunden kommen nicht nur zum Shoppen. Sie kommen wegen der Atmosphäre, wegen des Austauschs und einfach: um Spaß zu haben. Der physische Raum wird zum Treffpunkt, zur Bühne für gemeinsames Erleben. Ob inszenierte Sporterlebnisse, immersive Installationen und Events oder Gamification auf der Fläche mit Augmented Reality – für Marken bietet die analoge Welt alle Möglichkeiten, sich multisensorisch, Community-orientiert und instagrammable zu präsentieren und echtes, fühlbares Entertainment zu bieten. Etwas, das digitale Kanäle nicht abbilden können.

Online ist die Basis. Der Raum ist das Upgrade. Es muss ja nicht immer gleich der eigene Shop sein: Die trendige spanische DtoC-Marke Scuffers zum Beispiel war gerade für vier Wochen mit einer Pop-up-Fläche in Berlin Mitte präsent, um den hiesigen Markt zu testen. Immer mehr Digital Brands gehen Co-Retailing-Partnerschaften ein und präsentieren sich auf Flächen in Shopping-Tempeln. Wer hier präsent sein will, zahlt – für Lage, Frequenz, Markenumfeld. Doch für viele Online-Brands ist das Investment strategisch sinnvoll. Sie kaufen sich nicht nur Quadratmeter, sondern Sichtbarkeit, Vertrauen und Zugang zu neuen Zielgruppen.

Der Store als Kreativlabor und Datengenerator

Dazu kommt: Der physische Raum wird zur Content-Maschine. Jede Store-Eröffnung, jede kuratierte Inszenierung, jede Interaktion wird zum Rohstoff für Social Media, Newsletter, PR oder Influencer-Kooperationen. Wer smart plant, denkt den Store von Anfang an als Erlebnislabor – für Markenbindung, Markenwirkung und Markenbotschaft.
Der stationäre Handel wird neu interpretiert. Die klügsten Marken haben das erkannt und setzen Stores nicht als Lagerfläche ein, sondern als Bühne. Und zwar nicht für den Ausverkauf, sondern für den Auftritt. Was zählt ist ein Storytelling, das atmet. Räume, die sprechen. Technologien, die inspirieren.

Und auch das ist eine Entwicklung: Der physische Store wird zum kreativen Labor. Hier treffen sich Design und Data, Gefühl und Funktion, Echtzeitanalyse und Erlebnisarchitektur. Der Retail liefert wichtige Daten für künftige Absatzstrategien; er erlaubt Marken, ihre Kunden kennenzulernen und Online-Kanäle zielgruppenspezifisch und vor allem mit nahtloser Schnittstelle zum physischen Erlebnis auszurichten. Wer jetzt Retail baut, baut nicht nur Raum, er baut Marke.

Eine Symphonie aus Digitalem und Physischem

In Hamburgs neuem Überseequartier werden 16,2 Millionen Besucherinnen und Besucher jährlich erwartet. Es soll mit seinen Hotels, Wohngebäuden, dem Medical Centre, Freizeiteinrichtungen, rund 170 Stores und 40 Gastronomieangeboten ein Treffpunkt für Menschen sein, ein pulsierender Ort. Mittendrin: starke Marken.

Ob nun ein gigantisches neues Shopping-Center, kreative Pop-ups oder neue Shops von DtoC-Marken in exklusiven Lagen – die Entwicklung zeigt: Wir stehen am Anfang eines neuen Zeitalters der Markenerfahrung. Wer glaubt, Online sei das Ende der Geschichte, verpasst das Beste. Der Handel der Zukunft ist kein Entweder-oder. Er ist ein UND: Digital und physisch. Messbar und menschlich. Schnell und nachhaltig. Echtzeit und Erlebnis. Marken, die das verstehen, gestalten Räume, die bleiben – im Kopf und im Herzen der Menschen.

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